Eine erste Bewertung für die medienrechtliche Praxis

Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Recht vergessen zu werden

EuGHEin für Google schmerzhaftes, indes für viele Betroffene bedeutsames Urteil ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach natürliche Personen sich gegen eine Verlinkung auf Seiten mit personenbezogenen Daten als datenschutzrechtlich Betroffene effektiver wehren können.

EuGH setzt Löschungsanspruch früher an

Während das anwaltliche Vorgehen bisher vorsah, dass zunächst die beanstandeten Seite auf Unterlassung in Anspruch genommen werden musste, um dann nach Löschung des Inhalts eine entsprechende Aufforderung an Google nach dem Prinzip von „Notice & take down“ zur Löschung im Verzeichnis führte, setzt der EuGH beim Schutz des Persönlichkeitsrechts nun früher an.

In seinen Entscheidungsgründen führte der EuGH aus, dass es nicht angehen könne,

dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die zum Betrieb der Suchmaschine ausgeführt wird, den in der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Verpflichtungen und Garantien entzogen wird, was die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und den wirksamen und umfassenden Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen, die mit ihr gewährleistet werden sollen, einschränken würde (vgl. entsprechend Urteil LʼOréal u. a., EU:C:2011:474, Rn. 62 und 63), insbesondere des Rechts auf Schutz der Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, dem die Richtlinie eine besondere Bedeutung beimisst, wie u. a. aus ihrem Art. 1 Abs. 1 und ihren Erwägungsgründen 2 und 10 hervorgeht (vgl. in diesem Sinne Urteile Österreichischer Rundfunk u. a., C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01, EU:C:2003:294, Rn. 70, Rijkeboer, C‑553/07, EU:C:2009:293, Rn. 47, und IPI, C‑473/12, EU:C:2013:715, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung)“.

und weiter:

„Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig, wenn sie zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, erforderlich ist, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, insbesondere ihr Recht auf Schutz der Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie geschützt sind, überwiegen. Die Anwendung von Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 erfordert also eine Abwägung der jeweiligen einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen, in deren Rahmen die Bedeutung der Rechte der betroffenen Person, die sich aus den Art. 7 und 8 der Charta ergeben, zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil ASNEF und FECEMD, EU:C:2011:777, Rn. 38 und 40)“.

Somit ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen, „ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, wobei die Feststellung eines solchen Rechts nicht voraussetzt, dass der betroffenen Person durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht.

Darüber hinaus manifestierte der EuGH einen grundsätzlichen Löschungsanspruch:

„Da die betroffene Person in Anbetracht ihrer Grundrechte aus den Art. 7 und 8 der Charta verlangen kann, dass die betreffende Information der breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste zur Verfügung gestellt wird, überwiegen diese Rechte grundsätzlich nicht nur gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers, sondern auch gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu der Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche“.

Eine Ausnahme sehen die Richter nur bei klassischen medienrechtlichen Konstellationen absoluter und relativer Personen der Zeitgeschichte, „wenn sich aus besonderen Gründen – wie der Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben – ergeben sollte, dass der Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch das überwiegende Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, über die Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste Zugang zu der betreffenden Information zu haben, gerechtfertigt ist“.

Auswirkung auf die Praxis

Für die Praxis, speziell die anwaltliche Verfolgung persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche bedeutet diese Entschediung eine große Erleichterung, da nicht selten rechtsverletzende Inhalte anonym verbreitet werden oder man der Seitenbetreiber nur schwer bzw. mit unverhältnismäßigen Aufwand habhaft wird.

Nachdem sich Google bislang – außer in Fällen klarer Persönlichkeitsrechtsverletzung – meist auf den Standpunkt stellte, man müsse zunächst die Löschung der Inhalte betreiben, lassen sich Ansprüche nun direkt gegen Google durchsetzen. Damit dürften nun auch Fragestellung rund um die Autovervollständigung neu bewertet werden.

Denn die Bedeutung einer Seite mit solchen Inhalten wächst erst dadurch, dass diese im Internet überhaupt auffindbar wird, so dass eine Löschung beim Branchenprimus Google, durch die normative Macht des Faktischen regelmäßig deren Relevanz gegen null konvergieren lässt.

EuGH (Rechtssache C-131/12)

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