LG Hamburg: Zur Zulässigkeit generischer Domain-names
416 O 91/00
Verkündet am 30.06.2000
LANDGERICHT HAMBURG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
erkennt das Landgericht Hamburg, KfH 16, durch die Vorsitzende
Richterin am Landgericht 3 und die Handelsrichter
und auf Grund der am 9. Juni 2000 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung von DM 12.000.-
TATBESTAND
Die Parteien streiten um die Verwendung der Internetdomain „www.lastminute.com“. Sie sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Last-Minute-Reisen.
Die Klägerin, die Fa. L´tur betreibt ihr Geschäft seit 1987. Sie unterhält 114 Agenturen, die überwiegend an städtischen Brennpunkten und Flughäfen angesiedelt sind. Darüber hinaus bietet die Klägerin Last-Minute-Reisen auch im Internet unter der Domain ‚ an. Sie vertreibt jährlich rund 500.000 Reisen. Die Last-Minute-Reisen werden der Klägerin von den Kooperationspartnern angeboten, wenn diese feststellen, daß sie die Reisen auf dem regulären Vertriebsweg über Reisekataloge oder spezielle Angebotsprospekte nicht mehr absetzen können.
Die Beklagte, die als Last Minute (…) firmiert ist seit 1999 auf dem deutschen Markt präsent. Sie ist ein Tochterunternehmen der britischen Firma lastminute.com plc. und bietet unter der Homepage „lastminute.com“ ebenfalls Last-Minute-Reisen an. Anfragen dieser Domain aus Deutschland werden dabei automatisch auf die Domain „www.de.lastminute.com/de/“ umgeleitet. In der (deutschen) Presse bewirbt die Beklagte ihr Angebot unter der Kennzeichnung lastminute.com‘.
Die Klägerin hält das Auftreten der Beklagten unter der Domain „lastminute.com‘ im Internet für wettbewerbswidrig. Sie meint, die Beklagte fange durch die Verwendung der angegriffenen Domain Kundenströme ab und kanalisiere sie in Richtung auf ihr eigenes Unternehmen. Ein nicht unerheblicher Teil der Internetbenutzer sei geneigt, auf der Suche nach bestimmten Leistungen im Internet zunächst verschiedene Gattungsbegriffe unter Zusatz der Top-LevelDomain „.com‘ oder „.de“ direkt auszuprobieren. Hierdurch bestehe die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung, weil der Anbieter nicht mehr weitersuche, sondern bei dem zuerst gefundenen Unternehmen bleibe.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
i. bei Meidung gesetzlicher Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
1. unter der Domain „www.lastminute.com‘ oder „lastminute.com“ ohne unterscheidungskräftigen Zusatz im Internet aufzutreten;
2. die Bezeichnung „lastminute.com“ zur Bewerbung ihres Internetangebotes zu verwenden;
ii. Auskunft darüber zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang Handlungen gern. Ziff. 1 begangen wurden unter Angabe der Anzahl der Hits, Page-Views und/oder Page-Impressions, sowie der Anzahl der im Internet von Nutzern angedienten Verträge über die unter der Adresse lastminute.com auswählbaren Seiten der Beklagten, aufgeschlüsselt nach Monaten;
iii. erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides statt zu versichern.
iv. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die in Ziff. 1 beschriebenen Handlungen bisher entstanden ist und/ oder noch entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen und ihr Vollstreckungsschutz zu gewähren.
Sie teile nicht die Auffassung der Klägerin, daß in der Verwendung der Domain „lastminute.com‘ ein Wettbewerbsverstoß zu sehen sei. Die Beklagte verwende ihre geschäftliche Bezeichnung, für die sie bereits Unterscheidungskraft erlangt habe (Beweis: Sachverständigengutachten). Last Minute“ bzw. „lastminute“ sei kein Gattungsbegriff. Eine Kanalisierung existiere im Internet nicht. Diese von der Klägerin beschworene Gefahr sei ein aus der Gedankenwelt des klassischen Ladengeschäfts geborenes Phantom. Die beteiligten Verkehrskreise seien an beschreibende Namen im Internet gewöhnt, unter denen sie nichts anderes als bestimmte Unternehmen vermuteten. Die Nutzung generischer Domainnamen sei im Internet der tatsächliche Regelfall.
Die Entscheidung „mitwohnzentrale.de“ des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (CR 1999, 779, 780) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Zur Frage der Nutzergewohnheiten habe es eines Gutachtens bedurft. Im übrigen seien die Fälle nicht vergleichbar. Bei der Domain „mitwohnzentrale“ habe es sich um eine Art Portal gehandelt, hier sei erkennbar, daß es um ein einzelnes Unternehmen gehe.
Die Beklagte verfolge nicht die Zielrichtung, die Klägerin und andere Mitbewerber auszuschließen. Sie lehne sich an ihre Firma an, die von ihrer englischen Muttergesellschaft abgeleitet sei.
Eine faktische Monopolstellung erwachse der Beklagten nicht. Die Domain sei wie eine gute Ladenadresse. Aus dieser könne auch nicht die Forderung nach Zurverfügungstellung eines Portals durch den Inhaber abgeleitet werden.
Die Bedeutung der Direkteingabe sei gegenüber anderen Informationsquellen sekundär (Beweis: Sachverständigengutachten).
Für den Parteivortrag im übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze und eingereichten Anlagen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann weder Unterlassen der Verwendung der Second-Level-Domain „lastminute“ aus § 1 UWG unter dem Aspekt unzulässiger Behinderung verlangen, noch stehen ihr Ansprüche auf Auskunft, Feststellung oder und Schadensersatz zu.
Die Verwendung der Domain „lastminute.de“ stellt sich nicht als wettbewerbswidrige Behinderung der Klägerin und weiterer Mitbewerber bei Last Minute-Reisen dar. Sie führt nicht zu einer unzulässigen Kanalisierung der Kundenströme, durch die die Chancengleichheit im Wettbewerb gestört würde. Im einzelnen:
Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Verwendung einer Gattungsbezeichnung oder beschreibenden Angabe als Domain eine unlautere Behinderung in Form des Abfangens von Kunden darstellen (OLG Hamburg, Urteil vom 13. Juli 1999 – CR 1999. 779, 780 – „mitwohnzentrale.de).
Die zur Frage des Abfangens von Kunden und damit der Behinderung des Wettbewerbers entwickelte Rechtsprechung geht davon aus, daß es durch Ansprechen, Verteilen von Werbezetteln oder das Aufstellen eines Verkaufswagens in unmittelbarer Nähe des Verkaufslokals des Wettbewerbers diesem unmöglich gemacht wird, seine Leistung dem Kunden anzubieten, so daß ein sachlicher Leistungsvergleich verhindert werde (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl. 1999).
Anerkennt ist dabei (aaO), daß es stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. So ist es als nicht sittenwidrig angesehen worden, wenn vor einem Ladengeschäft, in dem eine Verkaufsveranstaltung stattfindet, für eine mehrere Tage später stattfindende eigene Veranstaltung geworben wird (BGH GR 1986, 547 – Handzettel).
Im Falle der Beklagten sind die Unwertmerkmale des Abfangens nicht zu bejahen. Die Klägerin begehrt letztlich nicht mehr und nicht weniger als den Ausspruch, daß die Verwendung von Gattungsbegriffen im Internet stets wettbewerbswidrig sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Allerdings ist – entgegen der Ansicht der Beklagten – die von der Beklagten als Domain verwendete Bezeichnung „lastminute“ im deutschen Sprachgebrauch als Gattungsbegriff für kurzfristig gebuchte Reisen anzusehen. Der Einwand der Beklagten, es würden auch andere Dienstleistungen und Produkte unter diesem Begriff angeboten, mag zutreffend sein, ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß im allgemeinen Rechtsverkehr der Begriff „lastminute“ für Last-MinuteReisen assoziiert wird.
Der beschreibende Charakter führt im Vorliegenden Fall jedoch nicht zu einer sittenwidrigen Behinderung. Zum einen sind die Suchgewohnheiten im Internet, also die Arten des Zugangs zu gewünschten Informationen, vielfältig, zum anderen, ist der psychische oder sogar physische Druck, der dem Abfangen nach der entwickelten Rechtssprechung innewohnt, hier nicht festzustellen.
Es ist nicht auszuschließen, dass Internet-Nutzer, die einen Anbieter aus einer bestimmten Branche im Netz suchen, im Web-Browser auf gut Glück einen Branchenbegriff oder eine sonstige allgemein gehaltene Gattungsbezeichnung unter Zusatz der bekannten Top-Level-Domain „.de“ oder „.com“ eingeben. Dieses Benutzerverhalten ist darauf zurückzuführen, daß das Suchergebnis mittels Suchmaschinen gerade bei der Eingabe eines gängigen Begriffes in der Regel zu einem unstrukturierten, eher unübersichtlichen und häufig unbefriedigenden – weil alle Treffer zu dem Suchergebnis aufgelistet werden – Ergebnisbild führt. Dieser Umstand veranlaßt möglicherweise einen nicht unerheblichen Teil der Nutzer des Internets zu einer deutlichen Zurückhaltung bei der Verwendung von Suchmaschinen.
Ferner ist es auch möglich, daß Netsurfer, die – trotz der aufgezeigten Nachteile über ein Suchprogramm vorgehen, sich von der gebotenen Auswahl für die Seite des Anbieters entscheiden, der die Domain mit einer umfassenden Beschreibung führt. Der Wettbewerbsverstoß besteht dann in der Gefahr, daß weitere Anbieter vernachlässigt werden (Ubber in WRP 1997, 497, 51 0; Renck in WRP 2000, 264, 266).
Diese Möglichkeit des Zugriffs allein ist jedoch nicht als gleichgewichtig mit der Situation des gegenständlichen Abfangens vor einem Geschäft anzusehen. Der nach Informationen suchende Internet-Nutzer kennt die Möglichkeiten, nach weiteren Angeboten zu suchen. Dem Verkehr ist in der hier betroffenen Branche zudem aus der intensiven Werbung in Rundfunk, Fernsehen und Zeitschriften hinlänglich bekannt, daß zahlreiche Reiseveranstalter Last-Minute-Reisen anbieten-. Der Verkehr weiß, daß es unterschiedliche Anbieter für Last-Minute-Reisen gibt, und wird daher auch durch das Auffinden von Angeboten unter der Gattungsbezeichnung „lastminute“ nicht davon abgehalten, weitere Angebote zu sichten, dies schon in der Hoffnung, ein preisgünstiges Angebot zu finden.
Anders als beim Abfangen von Kunden in unmittelbarer Nähe des Ladengeschäft, bei dem sich der Kunde der physischen Präsenz eines Verkäufers ausgesetzt sieht, derer er sich nur schwer widersetzen kann, bewegt er sich im Internet völlig frei und anonym. Hier ist es dem Nutzer mit einem höchst geringen körperlichen und finanziellen Aufwand möglich, weitere Angebote einzuholen. Dieser Aufwand ist nicht zu vergleichen mit demjenigen, den es erfordert sich eine Abfangen vor einem Ladengeschäft zu widersetzen, in ein weitere Ladengeschäft zu gehen, dort Angebote einzuholen, um dabei festzusteffen, daß das Angebot des ersten Anbieters doch das günstigste und sich diesem wieder zuzuwenden.
Wenn der Kunde im Internet keiner der Situation in einem herkömmlichen Ladengeschäft vergleichbaren psychologischen Zwangslage ausgesetzt ist müssen an das „Abfangen von Kunden“ im Internet andere, höhere Anforderungen gestellt werden. Es genügt dann nicht daß die einzigen Hindernisse, die den Internet-Nutzer vom Einhole weiterer Angebote abhalten – wie im vorliegenden Fall – Unkenntnis und Bequemlichkeit sind. Soweit in einer Branche durch entsprechende Werbung gewährleistet ist daß verschiedene Anbieter im Verkehr bekannt sind, kann die Verwendung des Gattungsbegriffes für dieses Marktsegment auch keinen Wettbewerbsverstoß gegenüber Mitbewerbern darstellen (Renck, a.a.O., S.
2). Es ist davon auszugehen, daß Internetnutzer sich durch einen gewissen Stand an Informationen über das Marktgeschehen auszeichnen, so daß diese Kenntnis hier vorausgesetzt werden kann. Wer nicht weiß, daß es verschiedene Anbieter von Last Minute Reisen gibt wird auch nicht wissen, was eine Last Minute Reise überhaupt ist und deswegen nicht danach suchen.
Zuzugeben ist der Klägerin weiterhin, daß derjenige, der als erster eine bestimmte Gattungsbezeichnung für sich besetzt einen Vorteil bei denjenigen erlangt, die sich mit der Suche nach einem Gattungsbegriff begnügen, weil sich dieser Begriff leichter merken läßt als andere, hinweisende Bezeichnungen. Die Verwendung von Gattungsbegriffen als Domain ist jedoch im deutschen Recht nicht verboten. Eine analoge Anwendung des Markenrechts (§§ 50 Abs. 1 Nr.,2, 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) kommt mangels gleichartiger Lebenssachverhalte nicht in Betracht (hierzu eingehend: Ubber, a.a.O., S. 510).
Der Gesetzgeber hat es versäumt, für den Internetzugang rechtzeitig Regeln aufzustellen und so vorn vornherein – entsprechend § 8 MarkenG – beschreibende Domains auszugrenzen. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, dieses Versäumnis zu kompensieren.
Das Argument der Klägerin, der Internet-Nutzer gehe bei der Domain der Beklagten aufgrund der Gattungsbezeichnung davon aus, daß es sich um ein Portal handele, von dem aus er die Gesamtheit aller angebotenen Last-Minute-Reisen abfragen könne, vermag nicht zu überzeugen. Die Verwendung von Gattungsbezeichnungen als Domain-Name ist im Internet-Verkehr durchaus üblich, und dies ist dem Verkehr vertraut wie dargelegt.
Im übrigen ist es auch nicht so, daß die Beklagte aufgrund der Verwendung eines Gattungsbegriffes keine Werbeaufwendungen mehr hätte und so zusätzlich profitierte. Angesichts der unterschiedlichen Schreibweisen des Begriffes „Last Minute“ bedarf es gleichwohl eines gewissen Werbeaufwandes, um den Verkehr direkt auf die eigene Domain zu lenken. Hierzu muß der Verbraucher wissen, ob man die Worte durch einen Bindestrich trennt, Groß- und Kleinschreibung beachtet und welche Top-Level-Domain zu verwenden ist. Gebräuchlich im deutschen Internet-Verkehr sind die Top-Level Domains „.de“ oder „.com‘.
Die Klägerin kann sich nicht auf die Entscheidung des Hanseatischen OLG Hamburg vom 13. Juli 1999 (3 U 58/98 in CR 1999, 779 ff.) „mitwohnzentrale.de“) berufen. Die dortige Klägerin ist ein Verein, in dem sich über 40 sog. Mitwohnzentralen in verschiedenen Städten Deutschlands zusammengeschlossen haben. Die dortige Beklagte zu 2) ist ein konkurrierender Verein, in dem sich über 25 andere Mitwohnzentralen unter einer anderen Bezeichnung in Deutschland organisier hatte.
Der Fall „lastminute.com“ ist anders gelagert und mit dem Fall „mitwohnzentrale.de‘ nicht vergleichbar. Es wird gerade nicht der Eindruck erweckt es handle sich um ein Portal für eine originelle und recht neue Dienstleistung. Vielmehr geht es um den Begriff für eine Leistung, von der die interessierten Kreise wissen, daß es diese Leistung von zahlreichen Anbietern gibt. Sie werden deswegen nicht von einem bestimmten Anbieter abgelenkt sondern auf das Angebot eines bestimmten Anbieters hingelenkt.
Das OLG Hamburg hat seine Entscheidung darauf gestützt daß Internet-Nutzer, die über die Branchenbezeichnung auf die Homepage der Beklagten zu 2) gelangt sind, ein umfangreiches Angebot an Mitwohnzentralen in verschiedenen Städten vorfinden, so daß der Interessent im Regelfall keine Veranlassung haben wird, seine Suche nach weiteren Anbietern fortzusetzen. Genau darin sah das OLG Hamburg einen unlauteren Wettbewerb in Form des Abfangens von Kunden. Das Gericht hat nicht die Aussage getroffen, daß die Registrierung und Benutzung jeder anderen Internet-Domain, die einen beschreibenden Begriff oder eine Gattungsbezeichnung zum Gegenstand hat per se zu einer unzulässigen Absatzbehinderung führt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 ZPO.
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