Linkhaftung Reloaded
Zur Haftung für Links zu rechtswidrigen Inhalten trotz Unkenntnis
Nichts hielt sich seit Ende der neunziger Jahren so lange im Internet, wie die Fehlinterpretation eines Urteils, das zu dem sogenannten Landgericht Hamburg Disclaimer führte, mit dem Nutzer sich durch einen lustigen Text von der Haftung für Links freizeichnen wollten.
18 Jahre später nun, scheint aus diesem 90er-Jahre Kuriosum Ernst geworden zu sein, da das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 18.11.2016 eine Haftung eines Nutzers für das Linksetzen annahm, obwohl dieser in Unkenntnis war, dass es sich um rechtswidrige Inhalte handelte (Az. 310 O 402/16).
Der Fall
Vereinfacht dargestellt und zusammengefasst ging es um ein bearbeitetes Werk, das als solches gemeinfrei war, weil unter der Creative Commons Lizenz (CC). Dieses wurde durch Dritte bearbeitet und auf einer Internetseite zum öffentlichen Abruf bereitgehalten, indes ohne die erforderlichen Angaben nach den CC-Bedingungen. Durch diese nicht rechtskonforme Bereitstellung, war diese durch den Seitenbetreiber unstreitig rechtswidrig.
Zu dieser Seite setzt nun der Antragsgegner des Hamburger Verfahrens einen Link, wobei wiederum unstreitig ist, dass der Antragsgegner die Rechtswidrigkeit nicht kannte.
Gewinnerzielungsabsicht führt zur Untersuchungspflicht
Die Hamburger Richter entschieden indes, dass ein Unterlassungsanspruch und Haftung des Linksetzer als Verantwortlicher auch dann besteht, wenn er in Gewinnerzielungsabsicht handelt, auch wenn ihm die Rechtswidrigkeit unbekannt war, da ihn durch die Gewinnerzielungsabsicht mit einem strengeren Verschuldensmaßstab Nachforschungspflichten träfen.
EuGH bereitete Boden für Kenntnis unabhängige Linkhaftung
Die Entscheidung der Hamburger Richter lag die Grundsatzentscheidung des europäischen Gerichtshofs zugrunde, mit der dieser eine Haftung für Links auch ohne Kenntnis der Rechtswidrigkeit postulierte, wenn die Linksetzung mit „Gewinnerzielungsabsicht“ erfolgt (EuGH, 08.09.2016 – C-160/15).
Öffentliche Wiedergabe nur bei Kenntnis
Wenngleich für den geneigten Urheberrechtler doch strukturell erstaunlich meinten die Luxemburger Richter, das Kriterium der öffentlichen Wiedergabe stets individuell beurteilen zu müssen und davon abhängig zu machen, ob eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Liegt keine Gewinnerzielungsabsicht vor und weiß oder kann der Linksetzende vernünftigerweise nicht wissen, dass ein Werk im Internet ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers veröffentlicht wurde, stellte dies keine öffentliche Wiedergabe im Rechtssinne dar.
Rechtskonstruktiv hängen die europäischen Richter die Haftung an der Gewinnerzielungsabsicht auf, die eine Nachprüfung erfordere (Hervorhebungen durch Autor):
Zum Zweck der individuellen Beurteilung des Vorliegens einer „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 muss daher, wenn das Setzen eines Hyperlinks zu einem auf einer anderen Website frei zugänglichen Werk von jemandem vorgenommen wird, der dabei keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, berücksichtigt werden, dass der Betreffende nicht weiß und vernünftigerweise nicht wissen kann, dass dieses Werk im Internet ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers veröffentlicht wurde.
und weiter
Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde. Unter solchen Umständen stellt daher, sofern diese widerlegliche Vermutung nicht entkräftet wird, die Handlung, die im Setzen eines Hyperlinks zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk besteht, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.
Die Kritik der juristischen Literatur an diese Entscheidung ließ aus nahe liegenden Gründen nicht lange auf sich warten. Nach dem Grundsatz, es wurde alles gesagt, nur noch nicht von jedem, darf an dieser Stelle auf die nochmalige Bewertung dieser EuGH-Entscheidung verzichtet werden.
Diese ist auch nach diesseitiger Rechtsauffassung rechtskonstruktiv inkonsistent, unbeschadet von den informationspolitischen Auswirkungen einer solchen Entscheidung.
Vorsatz durch (bewusste) Unkenntnis?
Vielmehr stellt sich die zudem Frage, ob das Landgericht Hamburg die Entscheidungsgründe des EuGH richtig interpretiert hat. Allen voran geht es hier um die nach dem deutschen Urheberrecht zwar für die Bemessung eines Schadensersatzanspruches, nicht aber für die Bewertung der Rechtswidrigkeit einer Nutzung- oder Verwertungshandlung, vorgenommene Nennung der Gewinnerzielungsabsicht.
Wie inzwischen fast jeder auch private Seitenbetreiber weiß, hängt die Rechtswidrigkeit einer Bildernutzung nicht von der Gewinnerzielungsabsicht ab – Stichwort Stadtplan Abmahnungen, Getty Images u.v.a.m.
Gewinnerzielungsabsicht führt zur Überprüfungspflicht
Die Hamburger Richter meinen aus der Gewinnerzielungsabsicht, konsequent nach den Vorgaben des EuGH, eine Überprüfungspflicht abzuleiten und formulierten konkret (Hervorhebungen durch Autor):
Dass der Antragsgegner vorliegend nicht wusste, dass die verlinkten Zugänglichmachung rechtswidrig erfolgte, beruht auf seinem Verschulden; ihm ist diesbezüglicher Vorsatz vorzuwerfen
Spätestens an dieser Stelle krankt nach diesseitiger Auffassung die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, da es durch eine strenge Auslegung offenbar meint, dass jede Seite, die eine wie auch immer geartete Gewinnerzielungsabsicht habe (im Ergebnis also Gewerblichkeit aufweise) , bereits dann schon unter diesen strengen Maßstab falle.
Gewinnerzielungsabsicht
Wenngleich die rechtskonstruktive Herleitung nach wie vor unklar ist, mag man nach der unglücklichen Entscheidung des EuGH dann eine erhöhte Prüfungspflicht annehmen können, wenn der Linksetzer konkret ein Entgelt im Sinne von Pay-per-Click durch den Seitenbetreiber, zu dem er verlinkt, erhält, wobei dann hier über Freistellungsansprüche diskutiert werden könnte.
Soweit allerdings offenbar nach der Auffassung des Landgerichts hier quasi jeder Nicht-Private erfasst sein soll, also Unternehmen, Gewerbetreibende, Freiberufler etc., dürfte die Interpretation des Luxemburger Urteils durch die Hamburger Richter urheberrechtlich nicht tragen.
Eilverfahren keine Grundsatzentscheidung
Bei aller Aufregung muss man bei der Gewichtung der Entscheidung berücksichtigen, dass es sich um ein Eilverfahren handelt, bei dem das Gericht entsprechend der zivilprozessualen Vorgaben in höchster Eile nur durch kursorische Prüfung eine Entscheidung fällt.
Die Entscheidung ist zwar ärgerlich, weil sie Abmahnern, wie in der Vergangenheit durch zahlreiche Beispiele belegt, sei es Webspace, sei es das Facebook-Impressum und viele andere Abmahnungen, die auf fehlerhaften Erstentscheidungen basierten, Tür und Tor öffnet.
Auf mittlere Sicht dürfte indes die deutsche Judikatur hier eine sinnvolle Ausdifferenzierung vornehmen, die eine Linkhaftung über die positive Kenntnis hinaus vielleicht allenfalls dann annimmt, wenn der Linksetzer dafür entweder ein direktes Entgelt enthält oder von der Linkssetzung wirtschaftlich direkt profitiert.
Auf die allgemeine Gewinnerzielungsabsicht einer Webseite oder gar eines Unternehmens als solches abzustellen, erscheint nach diesseitiger Rechtsauffassung nicht tragfähig, infolgedessen es in naher Zukunft Entscheidungen geben dürfte, die wiederum nach dem etablierten und bewährten Prinzip von Notice & Take Down einen Unterlassungsanspruch erst nach positiver Kenntnis begründen.
Da im besprochenen Hamburger Verfahren nach diesseitiger Information, sicherlich aus Opportunitätserwägungen, eine Abschlusserklärung abgegeben wurde und daher der Rechtsstreit nicht fortgeführt wird, kann es an dieser Entscheidung keine Korrektur geben.
Fallbeispiel für fehlende Haftung
Nach unserer Einschätzung und Rechtsauffassung dürfte trotz der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs folgende Handlung nicht zu einer Inanspruchnahme bei Unkenntnis führen.
Verlinkt beispielsweise ein Onlineshop zur Seite eines Herstellers, dann handelt der Onlineshop in (allgemeiner) Gewinnerzielungsabsicht, nicht aber bezüglich des Links, sondern bezüglich seines Geschäfts. Verwendet der Hersteller im Rahmen seiner allgemeinen Produktdarstellung dann beispielsweise Bilder ohne die erforderlichen Nutzungsrechte, wäre die Bereitstellung dieser Bilder zum öffentlichen Abruf rechtswidrig. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen könnte dann der Urheber dieser Bilder nur vom Hersteller Unterlassung verlangen, die Linksetzung aber erst nach Mitteilung der Rechtswidrigkeit unterbinden.
In Ansehung auch des besonderen Sachverhalts der EuGH-Entscheidung und der Tatsache, dass ein Nachrichtenportal mehrfach versuchte Playboy-Bilder zu verlinken, kann und muss der EuGH die hier skizzierte Fallkonstellation im Hinterkopf gehabt haben, da ansonsten jegliche Verlinkung im Internet durch Unternehmen unter dem Risiko der Rechtsverletzung stünden. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Luxemburger Richter auf diese Weise die Funktionsweise des Internets und die Informationsfreiheit beschränken wollten.
Was nun?
Wenngleich gegenwärtig das Risiko als erheblich zu bewerten ist, steht zu erwarten, dass andere Gerichte im Sinne des Vorstehenden entscheiden werden. Ob sich nun Gewerbetreibenden entscheiden, entweder Links akribisch zu überprüfen oder gar zu beseitigen, hängt von der eigenen Risikofreudigkeit ab.
Rauschhofer Social