Immer wieder erfolgt unsere Beauftragung nicht schon bei der Verhandlung von Implementierungsverträgen für Software, sondern erst, wenn die Konflikte auf operativer Ebene derart eskaliert sind, dass die rechtlichen Optionen auf Rücktritt, Schadensersatz etc. zu prüfen sind.
In welcher Form sich dann die Optionen stellen, richtet sich zum einen nach dem damaligen Verhandlungsgeschick des jeweiligen Vertragspartners, für ihn vorteilhafte Klauseln zu vereinbaren, vor allem aber nach dem dokumentierten Sachverhalt, der Fehlleistungen belegt.
Die inzwischen über 16-jährige Erfahrung im IT-Recht und Auflösung vielfältiger Projektschieflagen, sei es durch Kündigung, sei es durch Verhandlung, zeigt, dass vielfach die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt – soll heißen, dass immer wieder festzustellen ist, dass das Fehlverhalten einer Partei durch die andere nicht früh abgefangen wurde und dann das Projekt zu einem kaskadierenden Selbstläufer an Eskalationen wurde.
Wurde beispielsweise vor Projektbeginn bei der Erstellung einer Leistungsdefinition aufgrund von Zeitdruck geschludert, sind für den Auftragnehmer die Anforderungen häufig unklar. Unterlässt dieser dann die Anforderungen zu spezifizieren und durch den Auftraggeber freizugeben, kommt es nicht selten (auch) zum Streit darüber, welche Leistungsgegenstände vertraglich geschuldet und welche als zusätzliche Change Requests zu beauftragen sind. Während dieser erste Projektkonflikt sich regelmäßig noch durch die nächst höhere Hierarchie des Projekts oder zumindest den Lenkungsausschuss noch ausgleichen lässt, führen dann beispielsweise zu wenig durchdachte oder zu wenig granulare Meilensteinpläne zu weiteren Projektverzögerungen. Nicht selten wird durch die operativ unmittelbar Verantwortlichen von Auftragnehmer und Auftraggeber diese Projektverzögerung aufzuholen, wodurch nicht selten die Qualität leidet, was zu weiteren Themen führt.
Kommt es dann zu einer Kombination verschiedener Themen nicht nur über den Umfang, sondern auch über die Qualität der Leistung zum Streit, erfolgen Meilensteinabnahmen – berechtigt oder unberechtigt – nicht, woraufhin der Auftraggeber die Zahlungen einstellt und der Auftragnehmer die Leistung verweigert, liegt das Projekt schief.
Selbst wenn in der Situation aus dem Blickwinkel des Auftraggebers ein solcher Vertrag einen Projekt-Exit zuließe, müssen sich alle Beteiligten vergegenwärtigen, dass bei nicht absolut optimaler Gestaltung der Verträge sich eine Auseinandersetzung selten außergerichtlich und auch meist gerichtlich nicht befriedigend erledigen lässt – eine klassische Loss-Loss-Situation.
Sinnvoller hingegen ist es nach der diesseitigen Erfahrung, hier auf der Ebene des Senior-Managements den Projektstand zu evaluieren und die Folgen eines Projekt-Exits der Projekt-Fortführung gegenüber zu stellen. Hierbei sollte das Management auch berücksichtigen, dass die jeweilige Wahrnehmung der Projektverantwortlichen unterschiedlicher Natur sein kann, weshalb die Entscheidungsverantwortlichen nicht selten von einer unterschiedlichen Tatsachengrundlage ausgehen, wodurch dann – wegen des dann unüberbrückbaren Streits in der Sache – ein weiterer Konflikt vorprogrammiert ist.
Um ein vollständiges Kippen eines solchen Projekts zu vermeiden, empfiehlt es sich unter Zuhilfenahme von anwaltlichen Beratern und kompetenten IT-Sachver-ständigen die Ist-Situation festzustellen, um sodann Lösungsoptionen zu erarbeiten.
Denn letztlich wird im schlimmsten Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den Ausgang der Streitigkeit ein IT-Sachverständiger entscheiden, so dass man die dafür aufzuwendenden Kosten durch eine Antizipierung und Konzentrierung eines solchen Sachverständigen-Verfahrens begrenzen kann.
Kommt dann der Sachverständige zu einem Ergebnis, dass der Auftragnehmer schlecht oder verspätet gearbeitet hatte oder die vom Auftraggeber als Leistungsgegenstand gewähnten Positionen doch zusätzlich zu beauftragen sind, sollten die Verantwortlichen eine kommerzielle Lösung erarbeiten, die diesem Ergebnis Rechnung trägt. Auch hier sollte sich jeder Verantwortliche vergegenwärtigen, dass die finanzielle Schnittmenge einer solchen Einigung relativ groß ist, berücksichtigt man die ansonsten aufzuwendenden Rechtsanwalts-, Gerichts- und Sachverständigenkosten.
Gleichzeitig sollte bei einer kommerziellen Einigung verbindlich die Fortführung durch präzise Festlegung der offenen Leistungsgegenstände und der Leistungszeiten in einer erhöhten Meilensteingranularität zum einen erfolgen. Zum anderen sollte man – dies zeigt die Erfahrung bei kriselnden IT-Projekten – das Projektcontrolling verbessert werden, wobei auch aufgrund seiner dann erworbenen Projektkenntnis der hinzugezogene Sachverständige unter Umständen hilfreich sein kann.
Jedem in einem solchen IT-Projekt muss bewusst sein, dass Menschen arbeiten, die aufgrund von Konfliktsituationen emotionalisiert sind. Der Versuch Sachfragen durch emotionalisierte Diskussionen aufzulösen hilft hier genau so wenig weiter wie das einseitige Beharren auf Positionen in Unkenntnis der objektiven Sachverhaltssituation.
Eine Lösung liegt darin, mit Hilfe der Rechtsberater und Sachverständigen zu einen Neuanfang mit wechselseitigem Vertrauen zu kommen.
In diesem Zusammenhang können wir von Projektsituationen berichten, in denen der Auftraggeber einen optimalen Vertrag mit Vertragsstrafe und Schadensersatz als Drohkulisse hatte, der Auftragnehmer aber schlicht nicht fähig war, die Projektanforderungen umzusetzen. Soweit damit das Ergebnis ist, dass selbst mit der schlimmsten Drohung kommerzieller Daumenschrauben und der Nagelung an das IT-Kreuz nichts zu erreichen ist, müssen sich die Parteien sinnvoll trennen, um weiteren Schaden zu vermeiden. Der Auftraggeber muss sich vor einem Projekt-Exit immer vor Augen halten, dass er den Zeitraum der Ausschreibung, der Vertragsverhandlung und des bisherigen Projektverlaufs komplett verliert, was auftragnehmerseitig im Rahmen des Ersatzes im Zuge der Auflösungsvereinbarung zu berücksichtigen sein wird.
Auf der anderen Seite konnten wir eine Vielzahl von Großprojekten, teilweise in Marathonverhandlungen und -sitzungen, dadurch zum Erfolg führen, dass genau nach vorgenanntem Vorgehensmodell auf Basis einer objektiven Sachverhaltsanalyse ein Lösungsweg erarbeitet wurde. Dies reicht von ganz normalen Situationen, die in mehreren Projektrunden aufgelöst werden konnten, bis hin zu wechselseitig fristlos gekündigten Projekten, in denen man sich einstweilige Verfügung und schlimmeres angedroht hat.
Möchte man solche Schieflagen vermeiden, empfiehlt sich zum einen, eine klare vertragliche Regelung – s. dazu auch unser Video Softwarevertragsrecht – vor allem aber eine eindeutige Leistungsspezifikation.
Lässt sich ein nach der Wasserfallmethode vorgesehener Projektvertrag in der Kürze der Zeit nicht ausreichend spezifizieren, sollte darüber nachgedacht werden, einen Konzeptvertrag vorzuschalten, der beiden Parteien bestimmte Möglichkeiten gibt, von einem Projekt dann Abstand zu nehmen, teilweise aber auch dann die nicht selten blumigen und bunten Werbeversprechungen des potentiell zukünftigen Auftragnehmers in der Realität doch etwas bleicher erscheinen lässt.
Siehe dazu auch:
PROJEKTMANAGEMENT – Projekte auf der Kippe
InternetWORLD BUSINESS 01/2011
Rauschhofer Social