I. Einleitung
Der Begriff der Scheinselbständigkeit ist in aller Munde. Kaum eine Zeitung oder Zeitschrift kam an dem Thema des umstrittenen Gesetzes „zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte“ vorbei.
Diese kurze Erörterung soll daher einen ersten Überblick über die Neuregelungen geben, wobei die sich stellenden Einzelfragen nicht erschöpfend behandelt werden können.
Zu unterscheiden sind zunächst die Vorschriften des § 7 IV SGB IV und § 2 Nr. 9 SGB VI.
§ 7 IV SGB IV regelt, daß Selbständige unter bestimmten Voraussetzungen als „Beschäftigte“ im Sinne des SGB IV gelten und dadurch in allen Bereichen der Sozialversicherung versicherungspflichtig sind.
Daneben normiert § 2 Nr. 9 SGB VI, daß eine Person, die nicht die Voraussetzungen des § 7 IV SGB IV erfüllt, aber als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger einzuordnen ist, nur in der Rentenversicherung versicherungspflichtig ist, während er in den übrigen Bereichen versicherungsfrei bleibt.
In dieser Systematik ist zunächst zu ermitteln, ob es sich um einen „Beschäftigten“ nach der Vermutungsregelung des § 7 IV SGB IV handelt. Ist der Tatbestand erfüllt, ergibt sich daraus die generelle Sozialversicherungspflichtigkeit.
Fehlt es an den Merkmalen, die zur Vermutung einer Beschäftigung führen, muß in einem weiteren Schritt die Frage der Rentenversicherungspflicht anhand der Kriterien des § 2 Nr. 9 SGB VI untersucht werden.
II. Vermutung nach § 7 IV SGB IV
Erfüllt eine erwerbsmäßig tätige Person zwei der vier nachstehenden Kriterien, wird das Vorliegen einer „Beschäftigung“ widerlegbar vermutet:
- keine Beschäftigung versicherungspflichtiger Arbeitnehmer mit Ausnahme von Familienangehörigen
- Tätigkeit regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber
- Erbringung einer für Beschäftigte typischen Arbeitsleistung, die insbesondere in Weisungsgebundeheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation erfolgt
- kein Auftreten am Markt aufgrund unternehmerischer Tätigkeit
Wann einer dieser vier auslegungsbedürftigen Tatbestände erfüllt ist, läßt nicht mit abschließender Sicherheit bestimmen, da diese Neuregelungen in der ständigen Diskussion sind und es naturgemäß an diesbezüglicher Judikatur fehlt.
1. Das Kriterium „keine Beschäftigung versicherungspflichtiger Mitarbeiter“ bedeutet, daß neben der Ausnahme von Familienmitgliedern auch geringfügig Beschäftigte i.S.d. § 8 SGB IV nicht als Beschäftigte zählen, da für diese keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung besteht.
2. Ein regelmäßig und im wesentlichen für den Auftraggeber erbrachte Tätigkeit setzt eine umfassende Bindung an einer Auftraggeber voraus. Die diesbezüglichen Abgrenzungsmerkmale sind höchst umstritten, da unklar bleibt, ob damit die Arbeitszeit oder der Umsatz maßgeblich sein soll.
In der juristischen Literatur wird als Richtwert für eine umfassende Bindung an den Auftraggeber i.S.d. § 7 IV Nr. 2 SGB IV angesehen, wenn die Tätigkeit des Auftragnehmers für den Auftraggeber 85% des Gesamtumsatzes und der Gesamtzeit ausmacht.
Umstritten ist auch hier wiederum, ob mehrere selbständige Konzernunternehmen als ein Auftraggeber anzusehen sind. Nach dem Rundschreiben der Spitzenverbände und der BfA sollen Konzernunternehmen als ein Auftraggeber gelten. Dagegen wird eingewandt, daß es dem Sinn und Zweck der sozialversicherungsrechtlichen Neuregelung widerspräche, eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrundezulegen.
Eine m.E. vorzugswürdige Mittelmeinung stellt darauf ab, ob bei einer Tätigkeit für verschieden Unternehmen das Verhalten gegenüber dem Auftragnehmer koordiniert wird.
3. Eine für eine Beschäftungung typische Arbeitsleistung liegt grundsätzlich vor, wenn eine Weisungsrecht des Auftraggebers unter Eingliederung in die betriebliche Organisation vorliegt.
Der diesbezügliche Abgrenzungsversuch darf als nicht geglückt bewertet werden, da § 7 IV Nr. 3 SGB IV insoweit die arbeitsrechtliche Definition von Arbeitnehmern enthält, die ohnehin schon nach § 7 I SGB IV zu den Beschäftigten zählen.
Im Gesetzesentwurf wurde zunächst nur darauf abgestellt, inwieweit es sich um für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen handelt. Dabei stellte sich jedoch die Frage, wann eine solche Tätigkeit gegeben sein sollte. Diesbezüglich wurde auf eine am Einzelfall orientierte Auslegung verwiesen, die jedoch offensichtlich nicht zu stärkeren Konturen dieser Vorschrift führen konnte.
4. Das Auftreten aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt nach § 7 IV Nr. 4 SGB IV soll sich aus einer wirtschaftlichen Betrachtung ergeben.
Hierbei soll es insbesondere auf die eigenständige unternehmerische Entscheidungsfreiheit bei Einkauf, Bezug und Einsatz von Kapital und Maschinen ankommen.
Es fragt sich allerdings, wie solche Kriterien in der Dienstleistungsbranche – beispielsweise selbständige EDV-Berater – erfüllt werden sollen.
Diese Vorschrift wird stark kritisiert, weil dies inhaltlich stark mit § 7 IV Nr. 2 SGB IV übereinstimmt, so daß durch die ähnlichen Tatbestandsvoraussetzungen ohnehin schon zwei der vier erforderlichen Kriterien vorliegen.
Ein Abgrenzungsmerkmal jedenfalls soll hierbei das Betreiben von Eigenwerbung sein.
Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß die vier Kriterien unbestimmt sind. Für den konkreten Einzelfall bedeutet dies, daß sowohl im Hinblick auf bestehende Verträge als auch bei der Begründung von Vertragsverhältnissen auf die Vertragsgestaltung im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen besonders geachtet werden muß. Hier bedarf es insbesondere Regelungen, die zu einem Ausschluß des § 7 IV SGB IV führen, soll ein Auftragnehmer entsprechend seiner Tätigkeit auch sozialrechtlich als Selbständiger behandelt werden.
III. Arbeitnehmerähnliche Selbständige
Unter der neuen Personengruppe der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen werden nach § 2 Nr. 9 SGB VI selbständig tätige Personen verstanden, die
im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit mit Ausnahme von Familienangehörigen keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen sowie regelmäßig und im wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig sind.
Entscheidend ist daher die persönliche Abhängigkeit bei einer Leistung, die gegenüber dem Auftraggeber höchstpersönlich zu erbringen ist.
Demgemäß kommt es beispielsweise darauf an, ob im Rahmen eines Projektes ein Auftragnehmer die Leistung selbst oder durch andere erbringen darf.
Auch können hier mehrere geringfügig Beschäftigte, deren Arbeitsentgelte zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten die Rentenversicherungspflicht des Selbständigen entfallen lassen.
Auch hier wird es auf die Indizien ankommen, die sich nicht zuletzt aus der Vertragsgestaltung ergeben, ankommen.
IV. Fazit
Die Neuregelung geben nicht nur Anlaß über deren gesellschaftspolitische Auswirkung zu streiten. Vor allem in juristischer Hinsicht besteht Unklarheit über die unbestimmten Abgrenzungskriterien, so daß deren Ausfüllung durch die Gerichte abzuwarten bleibt.
Um eine gerichtliche Auseinandersetzung möglichst zu umgehen, bedarf es einer klaren Vertragsgestaltung oder -anpassung, die beide Seiten vor ungewollten Ergebnissen schützt.
Hinweis: Die Rechtslage hat sich seit 2001 geändert
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