Es ist nicht weniger als eine Revolution im Urheberrecht. Produktgestaltungen, die früher als nicht schutzfähig bewertet wurden, unterfallen nun dem Schutz des Urheberrechts.
Der Bundesgerichtshof fällte gestern eine Grundsatzentscheidung, die nicht zuletzt auch für das Webdesign und die Gestaltung von Benutzeroberflächen in Software erhebliche Auswirkungen hat.

Werke der angewandten Kunst und Gestaltungshöhe

Der erste Zivilsenat entschied, dass zwischen Werken der bildenden Kunst und der angewandten Kunst keine unterschiedlicher Maßstab an Schöpfungshöhe mehr besteht.

Bislang galt für die Schutzfähigkeit bei Werken der angewandten Kunst, insbesondere bei der Gebrauchsgrafik, dass ein urheberrechtlicher Schutz erst dann greift, wenn ein „bedeutendes schöpferisches Überragen“ über den durchschnittlichen Tätigkeit eines Gestalters vorliegt und über den durch den Zweck gebotenen Entwurf ein „erheblicher ästhetischer Überschuss“ erreicht wird.

Urheberrechtlicher Schutz erweitert

Diese Rechtsprechung hat der BGH nun revidiert und führt in seiner Pressemitteilung zur Entscheidung aus:

An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind deshalb – so der Bundesgerichtshof – grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen.
(…)
In seiner früheren Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof die höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst, die einem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, damit begründet, dass für solche Werke der angewandten Kunst mit dem Geschmacksmusterrecht ein dem Urheberrecht wesensgleiches Schutzrecht zur Verfügung stehe. Da sich bereits die geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung abheben müsse, sei für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, das heißt ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung zu fordern.
An dieser Rechtsprechung kann – so der Bundesgerichtshof – im Blick auf die Reform des Geschmacksmusterrechts im Jahr 2004 nicht festgehalten werden.
(…)
Dies bedeutet für die Praxis, dass sämtliche Werke des täglichen Lebens, sei es in der körperlichen Welt beim Design von Stühlen, Lampen oder auch Werke der Architektur genauso wie im Softwarebereich die Gestaltung von Benutzeroberflächen oder Webseiten neu bewertet werden müssen.

So dürften auch Fragen zur Urheberrechtsverletzungen bei Verwendung eines fremden Designs – speziell bei der Gestaltung von Internetpräsenzen – neu zu beantworten sein. Wenngleich stets als Einzelfallentscheidung zu treffen, ist Maßstab für eine Schutzfähigkeit also numehr, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise es gerechtfertigt ist, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen ist.

Besonders spannend dürfte nun werden, wie die Instanzgerichte die diesbezügliche Rechtsprechung anwenden. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof klare Anforderungen in seiner Urteilsbegründung definieren wird, die eine Einordnung erleichtern. Die Urteilsbegründung liegt bisher noch nicht vor.

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Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 186/2013